Tintenblaue Kreise


Biene Sabine hat es gut. Ihre Nachmittage verbringt sie am liebsten in dem von ihren Eltern geführten Café Leguan, trinkt heiße Schokolade, spielt Mühle mit Jockel, dem reimenden Stammgast, oder lässt sich von der alten Frau Almut mit den knall-lila Lippen die Karten legen. Und wenn am Mittwoch Mamas Band-Kollege Beere kommt, serviert ihm Biene sein Lieblingsgetränk „Zahnpastasaft“ und verziert ihm dann mit einem Kugelschreiber den Arm. Schließlich will Biene mal Tätowiererin werden.

Die Idylle bricht jedoch jäh in sich zusammen, als Beere erfährt, dass sein Sohn ein Herzleiden hat und operiert werden muss, und keiner weiß, ob er den Eingriff überleben wird.

Auf Bienes Suche nach Antworten auf die große Frage nach dem Tod, entpuppt sich ausgerechnet der verschlossene Eigenbrötler Phillip, den alle in der Klasse nur „Milchbubi“ nennen, als wichtige Schlüsselfigur…


"Tintenblaue Kreise" erzählt von Freundschaft, erster Liebe und dem Mut, für sich und andere einzustehen. 


Luftschacht, Herbst 2017

von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur e.V. zum Buch des Monats Jänner 2018 gewählt
Österreichischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2018
Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Wien 2018
IBBY Honour List 2020





Leseprobe:

Mühle zu!“
Und Jockel lächelt milchbärtig.
Ein leichter Sieg. Gegen ein Mädchen, das den Kopf voller schwarzer Gedanken hat.
Gedanken wie: Was ist, wenn Jockel Recht hat? Wenn da nichts ist? Man stirbt und aus. Das war es dann. Kein Himmel, kein Gott, kein ewiges Leben, keine Wiedergeburt, nichts.
Ich starre in mein Glas.
Pfefferminzsirup leuchtet grün in der Nachmittagssonne, die durch das große Fenster fällt.
Mama hat ihre Jazz-Playlist laufen. Summt dazu, während sie die Gäste bedient. Kommt und fragt, ob sie uns noch etwas bringen soll.
Es gibt Tage im Leguan, da brummt es vor Leuten und es ist so viel zu tun, dass Mama kaum verschnaufen kann.
Und es gibt Tage wie heute, die gemächlich sind, wie ein dicker, fauler Kater im Schaukelstuhl.
Noch Kuchen?“
Danke.“ Jockel winkt ab.
Und du, Biene?“
Mama streicht mir über den Rücken.
Keinen Hunger“, murmle ich, worauf sie mich forschend anschaut.
Alles okay mit dir?“
Sie zieht sich einen Sessel her. Will sich gerade zu uns setzen – reden wahrscheinlich, erfahren, was denn da los ist mit ihrer Tochter – als hinter ihr jemand sagt: „Entschuldigung. Ich soll hier was abholen.“
Mama dreht sich um und ich sehe ein blasses, schmales Gesicht, wirre rotblonde Haare und ein ausgewaschenes Donald-Duck-T-Shirt.
Phillip?“
Er bemerkt mich und wirkt plötzlich verunsichert.
Hallo“, sagt er.
Mamas Blick wandert hin und her.
Ihr kennt euch?“
Von der Schule“, sage ich knapp.
Ich ...“ Phillip zögert. Wendet sich dann Mama zu.
Meine Mum hat was bestellt. Das soll ich abholen.“
Auf welchen Namen denn?“
Higgins.“
Mama nickt. Lässt Phillip stehen.

Er schaut verloren um sich.

Jockel deuet auf den leeren Stuhl.
Der Platz ist noch frei, dann sind wir drei!“ Und klopft auf die Sitzfläche.
Er zwinkert Phillip aufmunternd zu.
Phillip lächelt nervös. Setzt sich. Seine Hände suchen eine Beschäftigung.
Vor ihm liegt eine Serviette. Er fängt an zu falten.
Du bist also Phillip.“ Jockel macht auf Small-Talk. „Higgins, ja? Ist das irisch?“
Phillip nickt. Faltet.
Echt jetzt?“, sage ich. Ehrlich überrascht. „Du kommst aus Irland?“
Ich habe Phillips Nachnamen sicher schon hundert Mal gehört, aber nie weiter darüber nachgedacht.
Irland – Bierland“, wirft Jockel ein. Ein richtig schlechter Reim.
Aber Phillip lächelt höflich.
Zur Hälfte“, erklärt er und stellt das kleine Serviettenschiff vor sich auf den Tisch.
Mein Dad ist Ire. Meine Mum ist von hier.“
Auch hier gutes Bier!“ Jockel übertrifft sich selbst.
Phillip wirft mir einen fragenden Blick zu und ich muss lachen.
Denk dir nichts dabei“, sage ich. „Ich glaube, Jockel steigt gerade sein Mühle-Sieg zu Kopf!“

So, bitteschön!“
Mama kommt aus der Küche zurück, zwei große, weiße Schachteln in den Händen.
Zweimal Malakoff.“ Stellt die Torten auf den Tisch. Legt die Rechnung obendrauf.
„Achtzig Euro geradeaus. Geht's so, oder brauchst du eine Tasche?“
Geht schon so.“ Phillip zieht Geld aus der Hose. Zahlt.
Er steht auf, nimmt die beiden Kartons.
Sagt: „Tschüss!“ Sagt: „Dann, bis morgen.“ Sagt: „Auf Wiedersehen.“
Bis morgen“, sage ich und schaue ihm hinterher, wie er sich mit den Torten im Arm durch die Tür nach draußen wurschtelt und am Fenster vorbei die Straße runtergeht.

Ein kleiner Serviettendampfer tuckert über den Tisch. Mein Zeigefinger schiebt das Schiffchen vor sich her in die Sonne.